Roman Sauter Werner Sauter & Roland Wolfig: Agile Werte- und Kompetenzentwicklung – Wege in eine neue Arbeitswelt
Rezensent:
Dirk Jahn, FBZHL
Originalliteratur:
Sauter, Roman; Sauter, Werner, Wolfig, Roland. Agile Werte- und Kompetenzentwicklung – Wege in eine neue Arbeitswelt. Berlin (Springer Gabler) 2018, ISBN 978-3662573044, 299 Seiten, EUR 59,99.
Quelle der Rezension:
Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. 79. Erg.-Lfg. März 2019 www.personalwirtschaft.de/elearning
Stabilität war gestern. Rasante technologische, ökologische, ökonomische aber auch politische Entwicklungen beeinflussen tiefgreifend westliche Lebensformen und fordern die Gesellschaft heraus. Schenkt man den visionären Narrativen in vielen öffentlichen Diskursen glauben, so bleibt nichts mehr, wie es einmal für lange Zeit war. Allein die Digitalisierung werde beispielsweise die Art und Weise, wie Arbeit gestaltet ist, vollkommen umkrempeln und neu definieren – Stichwort Industrie 4.0. In unsteten Zeiten unter komplexen Problemstellungen wird deshalb auch die Forderung nach heilsbringenden Konzepten laut, um auf die nicht absehbaren Herausforderungen von morgen heute schon adäquat reagieren zu können. Eine Zauberformel für diese paradoxe Ausgangslage wird in dem Konzept der „Agilität“ von vielen Expertinnen und Experten gesehen. Agilität hat in unterschiedlichen Bereichen wie der Software-Entwicklung seine theoretische und praktische Fundierung erfahren. Allgemein lässt sich das Konzept mit äußerster Anpassungsfähigkeit übersetzen, um proaktiv, antizipativ, initiativ und erfolgreich auf Veränderungen reagieren zu können. Doch wie lässt sich dieser Ansatz auf betriebliches Lernen und Personalentwicklung übertragen?
Drei Experten für betriebliches Lernen und Personalmanagement, nämlich Roman Sauter, Werner Sauter und Roland Wolfig, allesamt selbstständig in der Branche tätig, legen dazu eine dreihundert Seiten starke Antwort vor. Das Werk richtet sich vor allem an Entscheidungsträgerinnen und -träger in Unternehmen, insbesondere in der Personalentwicklung und im beruflichen Bildungsbereich.
Nach einer Einführung in die angesprochenen Umwälzungen in der Arbeitswelt diskutieren die Autoren das Konzept der Agilität und behandeln agile Werte, Prinzipien, Praktiken und Methoden im betrieblichen Kontext. Das altgediente Lean-Management wird dabei z. B. wieder neu beleuchtet, aber auch Problemlöseansätze wie Scrum (Projektmanagementmethode), Kanban (Methode zur Produktionsprozessoptimierung) oder Design-Thinking (Innovationsmethode) behandelt. Inhaltlicher Schwerpunkt ist aber im Folgenden die Neugestaltung des betrieblichen Lernens im Sinne der Agilität und die Diskussion der dafür benötigten, auf den Weg zu bringendem Veränderungsprozesse. In der Auffassung der drei Autoren haben etablierte Traditionen des formellen Lernens, wie z. B. curricular vorgegebene Lernzielorientierung, bereits heute so gut wie ausgedient. Kern ihres Gegenentwurfs ist eine Art Ermöglichungsdidaktik in Form des sogenannten „social blended -“ bzw. „social workplace learning“ – didaktische Ansätze, bei denen Lernen hochgradig selbstgesteuert, kollaborativ, informell, „on the job“, unter Bearbeitung von anspruchsvollen Praxisprojekten zur Lösung von authentischen Praxisproblemen und unter Einsatz vielfältiger digitaler Tools wie z. B. Personal Learning Environments, E-Portfolios oder Micro-E-Learning gestaltet wird. Zentral dabei ist die emotionale Labilisierung der Lernenden, sprich sie müssen relevante Erfahrungen machen können, die sie in kognitive Dissonanzen versetzen und dadurch hochgradig dazu beitragen, dass die benötigten Kompetenzen und Werthaltungen auch wirklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgebaut werden. Vorgesetzte und Trainerinnen fungieren dabei als Coaches, Mentoren, Lernbegleiterinnen und Gestalterinnen herausfordernder Lernumgebungen. Wie die Transformation des betrieblichen Lernens im Weiteren organisational implementiert werden kann, auch dazu haben die Autoren einige Ansätze und Methoden in petto, die sie abschließend vorstellen. Beispielsweise raten die Autoren eindringlich dazu, Einstellungen und Werte der Belegschaft kontinuierlich zu evaluieren. Evaluationsansätze zum „Werte- und Konzeptmanagement“ aus eigener Produktion stellen sie überzeugend vor.
Fazit: Das Buch gibt einerseits reiche Impulse und methodische Empfehlungen, um (betriebliches) Lernen zu überdenken. Als Leser wird man fast erschlagen von den zahlreichen Tipps, Tricks, Ansätzen und methodischen Exkursen. Andererseits ist das Werk stellenweise wissenschaftlich nicht ausreichend haltbar fundiert. Einige Abbildungen sind zudem unleserlich, es gibt manch unnötige Wiederholungen und manche Passagen sind inhaltlich voraussetzungsvoll: Ohne entsprechendes BWL-Grundwissen kann die Lektüre hie und da schwer nachvollziehbar werden (z. B. ohne Wissen zu Organisationsformen). Viel gravierender und fraglicher ist aber die implizite Botschaft, die das Buch transportiert: Der anvisierte „Homo Agilis“ optimiert sich ständig im Sinne des Unternehmens selbst und mobilisiert seine ganze Leistungsbereitschaft, um die Visionen des Unternehmens umsetzen und auf die Herausforderungen unentwegt und erfolgreich reagieren zu können. Inwieweit aber haben Unternehmen überhaupt das Recht, sich in die Werthaltungen ihrer Mitarbeiter einmischen zu dürfen?