Philipp Staab: Falsche Versprechen. Wachstum im digitalen Kapitalismus
Rezensentin:
Alessandra Kenner, FBZHL
Originalliteratur:
Staab, Philipp: Falsche Versprechen. Wachstum im digitalen Kapitalismus. Hamburger Edition HIS 2016, ISBN 3868543058, 132 Seiten, EUR 12,00.
Quelle der Rezension:
Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. 69. Erg.-Lfg. Juni 2017, S. 297.
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Die Digitalisierung der Arbeitswelt, Big Data oder Industrie 4.0 – das klingt nach Innovation, Aufschwung oder Investitionen in neue Geschäftsfelder und zugleich nach Ausbeutung, Überwachung, Beschäftigungsverlusten. Philipp Staab, promovierter Soziologe, forscht derzeit am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit zu den Themen Digitalisierung, Wandel der Arbeitsweit und soziale Ungleichheit und veröffentlichte im Rahmen seiner vorherigen Tätigkeit am Hamburger Institut für Sozialforschung den Essay „Falsche Versprechen. Wachstum im digitalen Kapitalismus“. Dort geht er der Frage auf den Grund, ob und inwiefern „der digitale Kapitalismus eine verhältnismäßig neue Antwort auf ein Problem darstellt, das den Kapitalismus seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs in der Mitte des 20. Jahrhunderts prägt: Die Schwäche der Nachfrage, die mit den Produktivitätsfortschritten nicht standhalten kann.“ (S. 12). Staab benennt dies als Konsumptionsproblem.
Nach einer Einleitung in das Thema Digitalisierung widmet er sich im zweiten Kapitel der historischen Entwicklung des Kapitalismus der Moderne. Dabei zeichnet Staab die Geschichte der Industriearbeit ab dem Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren auf, und führt über die Krise des Massenkonsums hin zur Hoffnung auf ökonomischen Wachstum durch digitale Technologien seit den 2000er Jahren. Diese liegen in der Technisierung von (Arbeits-)Prozessen (und Auslagerung dieser an Kunden, etwa im Privatbanking), in Robotikanwendungen, neuen Formen der Arbeitskraftvermittlung oder der weiteren Technisierung und Automatisierung der Produktion. Das dritte Kapitel widmet sich kritisch der Grundidee der digitalen Ökonomie, die ihre Wurzeln in der „kalifornischen Ideologie“ (S. 39) und im Geiste des Solutionismus findet: menschliche Probleme jeglicher Art können durch Technik gelöst werden. Dass die Digitalisierung jedoch das Konsumptionsproblem durch einen effizienteren Konsum, individualisierte Produkte oder den „Siegeszug der Selbstbedienung“ (S. 69) lösen wird, bezweifelt Staab im vierten Kapitel. Kapitel fünf widmet sich der Digitalisierung und sozialer Ungleichheit. Neben der Abwertung menschlicher Arbeit durch Technisierung, Beschäftigungsverlusten und sinkenden Löhnen bei Geringqualifizierten oder dem Screening und Überwachen von Arbeitnehmern, diagnostiziert Staab die „Algokratie“ (S. 100), also ein digital strukturiertes Design von Arbeitsprozessen. Weiter beschreibt der Autor digitale Konkurrenzmärkte, wo Aufträge unkompliziert an Arbeitnehmer in Länder mit geringeren Lohnkosten ausgegliedert werden können oder Robotik und Automatisierung als Folgen des digitalen Kapitalismus. Staab schließt mit Kapitel sechs zum Konsumptionsdilemma und zieht das Fazit, dass sich die „Verheißungen des Kapitalismus (…) als falsche Versprechen (…) entpuppen“ (S. 125).
Auf den Punkt und sehr gut recherchiert schildert der Autor seine Thesen zum digitalen Kapitalismus. Insbesondere die historische Herausarbeitung des Konsumptionsproblems ist sehr gut gelungen. Sie gibt eine anschauliche und wichtige Basis für Staabs Argumentation, warum der Digitalisierung so viel Potenzial zugesprochen wird und wo wir Konsumenten, Arbeitnehmer und Nutzer von Technologien digitale Versprechungen kritisch hinterfragen sollten. Trotzdem: Ein Kapitel, das auch die Chancen von Digitalisierung beleuchtet, hätte ein insgesamt differenzierteres Bild der Thematik abgegeben und den Essay bereichert. Insgesamt ein kluges, anspruchsvolles und lesenswertes Buch – nicht nur für Ökonomen.