Lernerzentrierte Didaktik

Kurzinfos_FBZHL_2-2013-ZFHE-2010-3-105

Aus der Reihe

Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-­Alexander Universität Erlangen-­Nürnberg.

Inske Preissler, Rainer Müller, Jochen Hammerschmidt, Stephan Scholl, TU Braunschweig

Studienfächer: Geistes- und Erziehungswissenschaften, Maschinenbau > übertragbar auf andere Fächer

Quelle

Zeitschrift für Hochschulentwicklung (FZHE), Jg. 5 / Nr. 3 (September 2010), S. 105–115
http://www.zfhe.at/index.php/zfhe/article/view/35

Problembeschreibung / Zieldefinition

An vielen deutschen Universitäten dominiert eine Lehrpraxis, die, wenn sie ausschließlich angewandt wird, nicht immer optimal ist: oft beherrschen klassische Vorlesungen und Übungen den Alltag der Studierenden, vermehrt wird sogenanntes „träges“ Wissen produziert.
Anwendungsorientierte und berufsnahe Fertigkeiten und überfachliche Kompetenzen dagegen bleiben zuweilen auf der Strecke, was bei Disziplinen mit kurzer Halbwerts¬zeit der Fakten fatal sein kann.
Aus diesem Grunde ist eine Orientierung in Richtung Lernerzentrierung empfehlenswert: Lehrende konzipieren ihre Inhalte so, dass die Studierenden zu einer aktiven Auseinandersetzung mit den Inhalten angeregt werden und die Gelegenheit haben, sich statt träges Wissen anwendungsorientierte Fertigkeiten anzueignen.
An der TU Braunschweig wurde dies beispielhaft für die Disziplinen Physikdidaktik sowie Chemische und Thermische Verfahrenstechnik realisiert – ein Konzept, das auch einzeln und in anderen Disziplinen umgesetzt werden kann.

Herangehensweise / Lösungsansatz

An der TU Braunschweig wurden im Rahmen eines Gesamtkonzepts für eine Veranstaltung der Physikdidaktik sowie der Chemischen und Thermischen Verfahrenstechnik folgende Maßnahmen der Lernerzentrierung konzipiert:

Realisierung von kontext- und praxisorientierten Inhalten

Jedes Oberthema der Veranstaltung wurde in ein Problem oder einen Sachverhalt eingebettet, der Bezug zur Lebenswirklichkeit oder Berufspraxis hat. Beispielsweise wurde das Thema Verdampfen eingeleitet über das Brennen von Alkohol mittels einer kleinen Destillerie. Die Studierenden haben so die Möglichkeit, sich kontextorientiert dem theoretischen Inhalt zu nähern. Ergänzend wurden kontextorientierte Übungen als Hausaufgaben angeboten.

10-minütige englische Wiederholung der Inhalte zu Beginn jeder Sitzung durch die Studierenden

Um den Studierenden diese anfangs schwierige Aufgabe zu erleichtern, bekamen sie am Ende der letzten Sitzung englischsprachige Stichwortkarten, mit deren Hilfe sie sich vorbereiten konnten. Neben der Schulung der Englischkenntnisse und der Präsentationsfertigkeiten stärkt dies die aktive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten und das Verständnis des Stoffes.

Semesterbegleitendes Projekt

Hier bekamen die Studierenden die Aufgabe, als künftige MitarbeiterInnen eines Ingenieurbüros ein praktisches Problem zu lösen, selbstständig und über einen längeren Zeitraum hinweg. Sie erarbeiteten in Kleingruppen außerhalb der Präsenzzeit eine Präsentation und erhielten fachliche Rückmeldung und Feedback zu ihren Präsentationsfähigkeiten. Neben den fachlichen Inhalten werden dabei zahlreiche überfachliche Qualifikationen geschult, z. B. Kooperations- und Selbstmanagementkompetenzen.

Verbesserung der Gesprächs- und Fragekultur

Da die mangelnde Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden ein großes Hindernis für einen aktiven Lernprozess darstellt, wurde eine besonders offene Gesprächs- und Fragekultur eingeführt: Die Studierenden erhielten Namensschilder, mit denen sie angesprochen werden konnten. Mittels Fragekarten lernten sie Fragen zu stellen: Jede/r schrieb eine Frage, die sie/er zu einem Inhalt hatte, auf eine Karte. Diese wurden eingesammelt und gemeinsam mit der Lehrperson be-antwortet. Zudem wurden während der Veranstaltung immer wieder Fragen gestellt, sowohl von Seiten der Studierenden als auch von Seiten der Lehrperson.

Weitere Maßnahmen des Gesamtkonzepts

die hier nur erwähnt werden sollen: Nutzung eines Seminarraums statt eines Vorlesungssaals, um verschiedene Arbeitsformen umsetzen zu können; maximal 30-minütige Vorträge der Lehrenden am Stück; mindestens eine aktivierende Methode pro Termin; Verbesserung der Erreichbarkeit der Lehrenden auch außerhalb des Seminars.

Aufwand

An der TU Braunschweig dauerte die Vorbereitung zu dem Gesamtkonzept etwa ein Jahr, und dies mit zwei halben wissenschaftlichen Stellen (jeweils eine für die fachlichen und die didaktischen Fragen).

Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate

Die Befragung von 22 Studierenden, die an der Veranstaltung teilgenommen haben, ergab insgesamt ein positives Bild des Gesamtkonzepts: Die englischen Wiederholungen wurden als gewinnbringend empfunden; das semesterbegleitende Projekt wurde gut angenommen, bemängelt wurde aber der hohe Zeitaufwand der Präsentation; die Frage- und Gesprächskultur wurde nicht nur von den Studierenden als „großes Plus“ beschrieben.
Ein Wissenstest zu drei Zeitpunkten (zu Beginn der Veranstaltung, nach der Hälfte der Sitzungen und am Ende des Semesters) zeigte eine Verbesserung gegenüber einer Kontrollgruppe, die lediglich die klassische Vorlesung besucht hatte. Auch die Prüfungsnoten waren signifikant besser als bei der Kontrollguppe (1,78 vs. 2,77). Zusammenfassend lässt sich von einem Erfolg der Maßnahme sprechen, der sich nicht nur in den subjektiven Beurteilungen der teilnehmenden Studieren-den niederschlägt, sondern auch in objektiven Leistungskriterien.

Empfehlungen

An der TU Braunschweig ist es gelungen, den Umfang der Lerninhalte beizubehalten und allein durch die Wahl der Methoden ein besseres Abschneiden in den Prüfungen zu erreichen. Sicherlich ist dies auch auf die große Vielfalt und Umfänglichkeit der neuen Maßnahmen zurückzuführen; auf der anderen Seite wäre die Implementierung nur einzelner der hier vorgestellten Maßnahmen der Lernerzentrierung förderlich.

Verallgemeinerbarkeit

Die erprobten Veränderungen sind exemplarisch für vergleichbare Studiengänge.