Christoph Drösser: Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden.
Rezensentin: Ramona Rappe, FBZHL
Originalliteratur:
Christoph Drösser: Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden. München, Carl Hanser Verlag 2016, ISBN 978-3446446991, 256 Seiten, EUR 17,90.
Quelle der Rezension:
Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. 65. Erg.-Lfg. Oktober 2016 www.personalwirtschaft.de/elearning
Kann ein Computer entscheiden, welcher Bewerber die höchste Eignung für eine Arbeitsstelle besitzt? Soll die Entscheidung über die Kreditwürdigkeit des Einzelnen auf der Liquidität der Nachbarschaft im Wohnviertel basieren? Ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit für ein zukünftiges Verbrechen zu berechnen? Wenn man den Big-Data-Spezialisten und -Befürwortern Glauben schenken darf, eindeutig ja! Fakt ist: Algorithmen dringen sukzessive in die verschiedensten Sphären unseres Lebens ein. Mittlerweile ist dabei sogar von einer neuen Weltmacht die Rede. Gleichzeitig wird es immer schwieriger zu durchschauen, was Algorithmen eigentlich sind und was sie genau tun.
Der Bestsellerautor und studierte Mathematiker Christoph Drösser hat sich zum Ziel gesetzt, den die Algorithmen umgebenden Zauber ein Stück weit zu lüften und ihre öffentliche Verteufelung durch Aufklärung abzumildern. Im sachlichen, verständlichen Stil werden das Ausmaß des Einsatzes von Algorithmen sowie ihre Wirkungs- und Vorgehensweise beschrieben. Immerhin erleichtern uns Algorithmen das Leben ungemein, indem sie herausfordernde Probleme mit einer unvergleichlichen Präzision und Geschwindigkeit lösen: Sie suchen die schnellste Route, liefern uns personalisierte Vorschläge für Bücher, Filme oder sogar Lebenspartner usw. und helfen zugleich mithilfe von Verschlüsselungs- und Komprimierungsverfahren dabei, dass uns der eigens produzierte, kontinuierlich zunehmende Datenberg nicht über den Kopf wächst. Zugleich agieren sie beispielsweise im Bereich des Börsenhandels nahezu autark und reagieren blitzschnell auf kleinste Aktienschwankungen.
Auch wenn es vielen Menschen mittlerweile nicht mehr geheuer ist, wie viele Rückschlüsse z.B. die Analyse des Kauf- und Suchverhaltens auf den Nutzer zulassen, muss man sich vergegenwärtigen, dass Algorithmen sich nicht selbst zum Leben erwecken, sondern von Menschenhand und unter Berücksichtigung je spezifischer Intentionen erschaffen werden. Problematisch ist in erster Linie, dass die dahinterliegenden Absichten nicht immer bekannt sind (z.B. bei Deep-Learning-Algorithmen) oder die Algorithmen nicht nur auf genialen Ideen, sondern teilweise auch auf latenten Diskriminierungsannahmen (z.B. im Zuge der Verbrechensvorhersage) fußen.
Insgesamt, fordert Drösser, braucht unsere Gesellschaft vor allem mehr „Algorithmisten“, d.h. Personen, die nicht nur dazu fähig sind, die dahinter stehenden mathematischen Prinzipien zu durchschauen und zu verstehen, sondern auch kritisch zu reflektieren. Dies ist zugleich als Handlungsaufforderung für Lehrende und Lehrplangestaltende zu verstehen: Sowohl das Schul- und Ausbildungssystem als auch Hochschulen tragen mitunter die Verantwortung zur Entwicklung von Mündigkeit und Selbstbestimmung. Werte, die im digitalen Zeitalter natürlich auch für das World Web Wide im Sinne einer Netzwerkautonomie gelten. Grundlegendes Wissen über algorithmische Prinzipien sollte somit längst Teil der allgemeinen mathematischen Wissensvermittlung sein.
Drösser ist es durch seine journalistische Tätigkeit bei der Zeit darauf spezialisiert, komplexe, wissenschaftliche Themen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies gelingt ihm auch in dieser Publikation. Nichtsdestoweniger sind Algorithmen eine komplexe Angelegenheit. Die Verbreitung und der Einsatz der Rechenverfahren wird durch die von ihm gewählten, sehr alltagsnahen Beispiele der am häufigsten verwendeten Algorithmen zwar sehr gut veranschaulicht, von einem gewissen mathematischen Grundverständnis kann die Leserschaft dieser Lektüre dennoch profitieren.