Reflexion von Geschichten zu persönlichen Lernerfahrungen – eine motivierende Methode zum Erwerb von Theoriewissen für die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen
Kurzinfos_ZiLL_41-2015_Using stories
Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.
AutorInnen: Joanna C. Dunlap, University of Colorado, Denver, U.S., Patrick R. Lowenthal, Boise State University, Boise, U.S.
Quelle
Dunlap, J. C., & Lowenthal, P. R. (2013). What was your best learning experience? Our story about using stories to solve instructional problems. International Journal of Teaching and Learning in Higher Education, 25(2), 269-274.
Problembeschreibung / Zieldefinition
Ausgangspunkt der hier vorgestellten Methode ist, dass Lerntheorien für angewandte Studiengänge im Bereich Multimedia zwar bedeutsam sind und in der Lehre auch thematisiert werden, diese aber bei den Studierenden oft auf wenig Interesse stoßen. Dieser Herausforderung standen auch Dunlap und Lowenthal (2013) in dem Studiengang zu „eLearning Design and Implementation“ gegenüber.
Ziel der hier vorgestellten Methode ist es, Studierende beim Wissenserwerb im Bereich Lehr-Lernforschung zu unterstützen. Im dargestellten Beispiel benötigen die Studierenden dieses Wissen für die Optimierung von eLearning-Umgebungen. Deshalb sollen die Studierenden dazu motiviert werden, sich als Grundlage für die Gestaltung effizienter eLearning-Umgebungen mit Lerntheorien auseinanderzusetzen. Außerdem sollen sie dazu in die Lage versetzt werden, ihre entwickelten eLearning-Umgebungen anhand evidenzbasierter, theoretisch fundierter Kriterien zu evaluieren. Als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Lerntheorien werden Geschichten von den Studierenden zu ihren eigenen Lernerfahrungen verwendet.
Herangehensweise / Lösungsansatz
Wie bereits beschrieben, werden bei der vorliegenden Methode Geschichten zu eigenen Lernerfahrungen der Studierenden eingesetzt, um sie zu der Auseinandersetzung mit Lerntheorien zu motivieren. Die Studierenden sollen sich dabei implizit mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
- Wie können Lernende aktiviert/motiviert werden?
- Was führt dazu, dass sich jemand an eine Lernerfahrung erinnert?
- Inwiefern helfen bestimmte Lernerfahrungen Menschen beim Lernen?
Es ist davon auszugehen, dass durch den Einsatz der Methode Vorwissen aktiviert wird. An dieses Wissen können die Studierenden neues Wissen anknüpfen, das sie im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung erwerben. Außerdem ermöglicht die Methode den Studierenden, ihre eigenen Vorstellungen und ihr Vorwissen heranzuziehen, um neu kennengelernte Lerntheorien einer Bewertung zu unterziehen. Aus ihren persönlichen Lernerfahrungen leiten die Studierenden Merkmale guter Lehre bzw. guten Lernens ab, die sie nach einer eingehenden Überprüfung durch die Lehrperson und die KommilitonInnen im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung verwenden, um von ihnen gestaltete eLearning-Umgebungen zu bewerten. Diese Kriterien werden auch für Rückmeldungen an die KommilitonInnen und die Lehrperson zu deren eLearning-Umgebungen herangezogen.
Die Vorgehensweise der Methode gliedert sich in vier Schritte (siehe auch Tabelle 1). Zunächst beschreiben die Studierenden schriftlich die beste Lernerfahrung, die sie bisher gemacht haben, in einer Geschichte. Hierbei soll es sich um ein konkretes Ereignis handeln, das sich entweder im Kontext der Hochschule und Schule, oder auch in einem außerschulischen oder außeruniversitären Kontext ereignet haben kann. Im zweiten Schritt werden Kleingruppen von vier bis fünf Studierenden gebildet. In diesen Kleingruppen analysieren die Studierenden die zuvor erstellten persönlichen Geschichten mit der Fragestellung, was das Besondere daran ist.
Dazu sollen sich die Studierenden gegenseitig Nachfragen stellen. Das Ziel ist, Merkmale des Lernprozesses zu identifizieren, die dem Erfolg der Lernepisode zugrunde liegen. Im dritten Schritt stellen die Studierenden in einer Liste die Merkmale, die sie in Schritt 2 gesammelt haben, zu thematischen Einheiten zusammen. Dies geschieht ebenfalls in der Kleingruppe. Die so erstellte Liste wird fortlaufend mit den persönlichen Werten und Einstellungen verglichen. Im letzten Schritt arbeiten die Studierenden im Plenum zusammen. Sie erstellen basierend auf den Ergebnissen, die in den Gruppen erarbeitet wurden, eine „Masterliste“, die die konsensfähigen thematischen Einheiten und Merkmale enthält.
Diese Masterliste erfüllt im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung mehrere Zwecke: Sie wird einerseits als „Aufhänger“ und Anknüpfungspunkt bei der Behandlung von Lerntheorien und Modellen im weiteren Seminarverlauf verwendet, wobei die in der Liste gesammelten Punkte auf Übereinstimmungen und Widersprüche mit den Theorien und Modellen überprüft werden. Andererseits wird die Masterliste auch genutzt, um ein Evaluationswerkzeug zu erstellen, mit dem die von den Studierenden entwickelten eLearning-Umgebungen bewertet werden. Die Anweisungen für die Studierenden finden sich in Tabelle 1.
Tabelle 1: Anweisungen für die Studierenden (vgl. Dunlap & Lowenthal, 2013, S. 270)
Teil 1 (in Kleingruppen von 4 bis 5 Studierenden) |
1. Beschreiben Sie Ihre beste Lernerfahrung. Denken Sie an Ihre wertvollste, effektivste oder motivierendste Lernerfahrung und schreiben Sie diese in 250 bis 400 Wörtern auf. Überarbeiten Sie den Text nicht und versuchen Sie nicht zu erklären, warum Sie denken, dass das ihre beste Lernerfahrung war – schreiben Sie einfach die Geschichte auf. |
2. Analysieren Sie die Geschichten in den Kleingruppen. Nehmen Sie sich in der Gruppe Zeit dafür zu entdecken, was das Besondere an jeder der Geschichten in Ihrer Gruppe ist. Stellen Sie dazu Rückfragen an Ihre KommilitonInnen. Das Ziel dieser Analyse ist es, dass Sie die Merkmale der Lehre bzw. des Lernens identifizieren, die diese Lernerfahrungen möglich gemacht haben. |
3. Gruppieren Sie die Merkmale in thematische Einheiten und stellen Sie diese in einer Liste zusammen. Diese Liste ist unsere Grundlage für die restliche Zeit in dieser Lehrveranstaltung und darüber hinaus. Wenn Sie Lernumgebungen für andere entwickeln, dann ist es wichtig zu wissen, was Lernende und Lehrende wertschätzen. Ihre Werte (basierend auf Ihren eigenen Erfahrungen und auf Ihrem Wissen über Lehren und Lernen aus der Literatur) sollten sich in der Wahl ihrer Lehrmethode widerspiegeln. Wenn Sie beispielsweise glauben, dass Menschen am besten in kooperativen Situationen lernen, dann sollte Ihr Lehrdesign kooperative Elemente enthalten. Prüfen Sie, ob sich Ihre Werte und Einstellungen in den Geschichten Ihrer Gruppe widerspiegeln, wenn Sie diese analysieren. |
Teil 2 (im Plenum) |
4. Entwickeln Sie eine „Masterliste“. Verwenden Sie nun die Listen, die Sie in den Kleingruppen entwickelt haben und arbeiten Sie als große Gruppe im Plenum zusammen, um eine Masterliste zusammenzustellen, die auf den konsensfähigen thematischen Einheiten und Merkmalen basiert. Wenn diese Masterliste vollständig ist und gründlich geprüft wurde, werden wir diese in ein Evaluationswerkzeug umsetzen, mit dem wir die entwickelten eLearning-Umgebungen evaluieren werden. |
Aufwand
Um die hier vorgestellte Methode in die eigene Lehre zu implementieren, ist wenig Aufwand in der Vorbereitung notwendig. Lediglich die Anweisungen für die Studierenden müssen gegebenenfalls geringfügig für die Zwecke der jeweiligen Veranstaltung überarbeitet werden.
Hoher zeitlicher Aufwand wird dagegen bei der Durchführung der Methode im Rahmen einer Lehrveranstaltung benötigt. Für den ersten Teil ist etwa ein halber Tag für die Durchführung einzuplanen, für den zweiten Teil sollte eine Sitzung von 90 Minuten Dauer ausreichen. Hier muss abgewogen werden, ob die vorgestellte Methode in zusätzlichen Sitzungen zu einem bereits bestehenden Seminar durchgeführt wird oder ob es möglich ist, die Inhalte der ursprünglichen Sitzungen in der verbleibenden Zeit unterzubringen.
Sofern innerhalb der Lehrveranstaltung nicht die notwendigen Zeiträume geschaffen werden können, wäre es gegebenenfalls auch denkbar, dass Schritt 1 von den Studierenden von zu Hause aus erledigt wird und auch die Schritte 2 und 3 der Gruppenarbeit als „Hausaufgaben“ erledigt werden. Bei dieser Vorgehensweise müsste allerdings darauf geachtet werden, dass die Studierenden in der Lehrveranstaltung sehr gut instruiert werden und dass sie die Anweisungen verstanden haben.
Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate
Die hier beschriebene Methode wurde in mehreren aufeinander folgenden Semestern eingesetzt und evaluiert. Die Studierenden schätzten an der vorgestellten Methode insbesondere den motivierenden Effekt, der sich aus dem qualitativen Reichtum der persönlichen Geschichten ergab.
Die Ergebnisse der Erarbeitung der Masterliste waren für Dunlap und Lowenthal (2013) unerwartet, aber in einem ganz positiven Sinn: Unabhängig von den sehr unterschiedlichen Inhalten der Geschichten, mit denen die Studierenden arbeiteten, entdeckten die Studierenden immer wieder die fünf gleichen thematischen Einheiten mit den folgenden Überschriften:
- Lernerzentrierung
- Soziale Eingebundenheit
- Kontextabhängigkeit
- Aktives Lernen
- Unterstützung
Diese Kriterien finden sich ebenfalls in der Literatur zu Unterrichtsqualität wieder. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die persönlichen Lernerfahrungen der Studierenden tatsächlich ein geeigneter Ausgangspunkt für die Theoriearbeit sind.
Empfehlungen
Aufgrund der Übereinstimmung der von den Studierenden wiederholt entwickelten Kriterien mit empirisch überprüften Kriterien guter Lehre bzw. guten Unterrichts empfehlen wir die hier vorgestellte Methode grundsätzlich als Ausgangspunkt für die Theoriearbeit. Allerdings sollte anhand objektiver Kriterien (beispielsweise anhand eines Tests am Ende des Semesters) überprüft werden, inwiefern die vorgestellte Methode sich hinsichtlich ihrer Effektivität (gemessen an der Lernmotivation, aber auch am Lernzuwachs der Studierenden) positiv von herkömmlichen Lehrmethoden absetzt und ob sich der hohe zeitliche Aufwand auszahlt.
Verallgemeinerbarkeit
Die Methode wurde für Studierende entwickelt, die sich inhaltlich mit der Entwicklung von eLearning-Umgebungen beschäftigen. Die Methode ist aus unserer Perspektive jedoch in allen Modulen integrierbar, die auf den Erwerb von Kompetenzen für die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen abzielen. Selbstverständlich kann das Anknüpfen an eigene Erfahrungen auch für andere Themen ertragreich sein, allerdings sind dazu jeweils entsprechende Abwandlungen der Vorgehensweise und erneute Prüfungen der Wirksamkeit nötig.