Leitfaden Kompetenzorientiertes Prüfen

Download Leitfaden Kompetenzorientiertes Prüfen

PDF, Stand 2025

Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-­Alexander-Universität Erlangen-­Nürnberg
Autoren: Michael Cursio, Angela Hahn und Dirk Jahn


Der Leitfaden „Kompetenzorientiertes Prüfen“ richtet sich an Studiengangs- und Modulverantwortliche der FAU, die sich regelhaft mit der Sicherung von kompetenzorientierten Prüfungen in der Hochschullehre beschäftigen wollen. Der Leitfaden ist gedacht als Instrument zur Reflexion von Prüfungsformaten unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzorientierung. Der Leitfaden enthält:

  1. Eine kurze Einführung zu den theoretischen Hintergründen kompetenzorientierten Prüfens  sowie das hier zugrunde gelegte Kompetenzmodell (Kapitel 1).
  2. Eine Zuordnungstabelle von Prüfungsform und Kompetenzen, inkl. Glossar zu den Prüfungsformen (Kapitel 2).
  3. Zur didaktischen Reflexion der Stimmigkeit von Lernziel, Lehrveranstaltung und Prüfung wird in Kapitel 3 das didaktische Planungsmodell des Constructive Alignment aufgezeigt.
  4. In Kapitel 4 findet sich eine Liste mit Reflexionsfragen zur Prüfungsbeurteilung.

1 Was ist Kompetenzorientierung?

Im Zuge der Umsetzung des sogenannten „Bologna-Prozesses“ hat sich die Kompetenzorientierung als eine zentrale Herausforderung für die Hochschullehre herausgebildet. Was aber bedeutet Kompetenzorientierung? Der Kern der Kompetenzorientierung liegt darin, dass durch Hochschullehre Handlungskompetenz Studierender ermöglicht werden soll. „Träges Wissen“, das lediglich abstrakt verfügbar, nicht jedoch in konkreten Problemsituationen anwendbar ist, soll dabei möglichst vermieden werden. Der Begriff der „Kompetenz“ wird in der Lehr-Lernforschung unterschiedlich verwendet. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass Kompetenz als ganzheitliches Konzept gesehen wird, das Wissen, Handlungsfähigkeiten, Einstellungen und Werthaltungen einschließt. So definiert Weinert Kompetenzen als

„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernten kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S. 27 f.).

In der Umsetzung auf die Hochschuldidaktik ergeben sich folgende Ansprüche an eine kompetenzorientierte Hochschullehre und damit an kompetenzorientiertes Prüfen. Kompetenzorientiertes Prüfen bedeutet, …

  • nicht nur Fachkompetenzen, sondern auch Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen (zu lehren und) zu prüfen;
  • nicht nur auf unteren Taxonomiestufen Faktenwissen abzuprüfen, sondern auch auf höheren Stufen Prüfungsaufgaben zu gestalten, wie z.B. „Anwenden“ oder „Analysieren“;
  • mit Blick auf die Umsetzung in lebensweltlichen und beruflichen Problemsituationen nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch – sofern zur jeweiligen Fachdisziplin passend – praktische und psychomotorische Fertigkeiten zu fördern und zu prüfen.

2 Prüfungsformen und Kompetenzbereiche

2.1 Glossar Prüfungsformen

Im folgenden Glossar werden verschiedene Prüfungsformen der FAU erläutert und die Zuordnung von Prüfungsform zu Kompetenzbereichen begründet. Das Glossar ist nicht als fixes Regelwerk, sondern als Ausgangspunkt einer didaktischen Reflexion zu verstehen. Sofern in den verschiedenen Fachdisziplinen eine Prüfungsform eine andere oder speziellere Ausprägungsform hat oder weitere Prüfungsformen zum Einsatz kommen, ist es erweiterbar. Eine Änderung oder Ergänzung der Beschreibung zieht ggf. auch eine Modifizierung der Zuordnung von Prüfungsformen zu Kompetenzen nach sich. 

3.2 Checkliste Prüfungsformen

Die folgende Checkliste ordnet den Prüfungsformen Kompetenzbereiche in tabellarischer Form zu. Abweichungen und Ergänzungen sind jeweils aus der spezifischen Studiengangslogik heraus denkbar. Die Prüfungsformen sind der Liste entnommen, die die AG Prüfungsformen der LuSt-Kommission erstellt hat.

3 Zusammenspiel von Lernziel, Lehrveranstaltung und Prüfung

Prüfungen werden nicht kontextlos gestaltet, sondern müssen immer im Zusammenhang mit der Lehrveranstaltung und den ihr zugrundeliegenden Kompetenzerwartungen (Lernzielen) betrachtet werden. Veranschaulicht wird dies im Konzept des Constructive Alignments (Biggs, 2003).

Trias Lernziel, Lehrveranstaltung & Prüfung – angelehnt an Biggs, 2003 und Reemtsma-Theis, 2015

Constructive Alignment hat nach Biggs zwei Ansatzpunkte (2003, S. 2-3): „Construct“ bezieht sich auf die Aktivitäten der Studierenden, welche Sinnzusammenhänge in Lernprozessen konstruieren. „Alignment“ bedeutet „Anpassung“ oder „Ausrichtung“ und verweist auf die Tätigkeiten der Lehrenden, nämlich Lehrveranstaltungen didaktisch so zu gestalten, dass sie die anvisierten Lernprozesse der Studierenden optimal unterstützen. Welche Kompetenzen dabei erworben werden sollen, wird durch die Lehr-Lernziele ausgedrückt. Des Weiteren meint „Alignment“ aber auch, dass die Lehrenden ihre Prüfungen auf die angestrebten Lernziele ausrichten. Wenn im Lernziel beispielsweise die Taxonomiestufe „Anwenden“ bei einem bestimmten Inhalt angestrebt wird, so muss auch die Prüfung auf dem Niveau dieser Stufe gestaltet sein, also Aufgabenformen beinhalten, die das „Anwenden“ des Inhalts erfordern (z. B.: Berechnen Sie …, Bilden Sie ein Beispiel …).

Zusammengefasst fordert Constructive Alignment, dass die Lernziele, die dazugehörige Gestaltung der Lehrveranstaltung (Selbst- und Präsenzstudium) und das Prüfen konsistent und stimmig aufeinander bezogen werden. Was geprüft werden soll (Kompetenzen, ausgedrückt in Lehr-Lernzielen), muss folglich auch gelehrt und gefördert werden, und zwar auf dem Niveau, das in der Prüfung tatsächlich abverlangt wird. Das Niveau der Prüfung wiederum wird durch das Niveau der Lehr-Lernziele festgesetzt. Nicht alles aber, was in der Lehre gefördert wird, muss zwingend Prüfungsgegenstand sein.

Drei Schritte zur Abstimmung von Lernzielen, Lernen und Prüfen (Burger, 2015):

  1. Lernziele operationalisiert auf dem gewünschten Anforderungsniveau formulieren (dabei nicht nur Fachkompetenzen, sondern auch überfachliche Kompetenzen in den Blick nehmen);
  2. Lernsituationen in den Lehrveranstaltungen und der Selbstlernzeit schaffen, die ein Lernen auf dem entsprechenden Anforderungsniveau ermöglichen (geeignete Methoden, (Haus)Aufgaben, Projektaufträge…);
  3. Prüfungsformen und konkrete Prüfungsaufgaben formulieren, die Kompetenzen auf dem gewünschten Anforderungsniveau verlangen.

4 Reflexionsfragen zur Beurteilung von Prüfungen

Reflexionsgesichtspunkte  Check
Stimmigkeit des Zusammenspiels von Lernziel/Lehrveranstaltung/Prüfung Stehen Lehr-Lernziele, Lehrveranstaltung und Prüfung im Einklang? Sind sie stimmig aufeinander bezogen?  

 

 

 

Vielfalt/Ausgewogenheit der Prüfungen Werden verschiedene Prüfungsformen eingesetzt
oder überwiegt eine bestimmte Form? Wenn ja,
warum?
Fertigkeiten Werden neben dem kognitiven Bereich auch
Fertigkeiten gelehrt und geprüft?
Überfachliche Kompetenzen Werden überfachliche Kompetenzen gelehrt und
geprüft? Welche Kompetenzbereiche kommen dabei zu kurz?
Niveau der Aufgabenstellungen Werden durch die Art der Aufgabenstellungen auch höhere Taxonomiestufen im kognitiven Bereich
abgedeckt?
Problemorientierung der Prüfungen Werden in den Prüfungen authentische, anspruchsvolle und relevante Problemstellungen von den
Studierenden bearbeitet?
Raum für Reflexion Fordern die Prüfungen eine kritische Reflexion von bestehenden Theorien und Praktiken ein? Wird selbständiges, verantwortungsvolles Denken und Handeln in fachlichen Kontexten gefördert und geprüft?

5 Literaturverzeichnis

Anderson, L. W., Krathwohl, D. R., Airasian P. W., Cruikshank, K. A., Mayer, R. E., Pintrich, P. R., Raths, J. & Wittrock, M. C. (2001). A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing. A Revision of Blooms Taxonomy of Educational Objectives. New York: Longman.

Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (2011). Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Abrufbarunter: http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de/. [28.04.2015].

Biggs, J. (2003). Aligning Teaching and Assessment to Curriculum Objectives. Abrufbar unter https://www.heacademy.ac.uk/sites/default/files/biggs-aligning-teaching-and-assessment.pdf [21.04.2015].

Bloom, B. S. (1976). Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich (5. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Burger, B. (2015). Kompetenzorientiert prüfen. PowerPoint-Präsentation vom 09.06.2015 am Fortbildungszentrum Hochschullehre (FBZHL). Fürth.

Cursio, M. & Jahn, D. (2014). Leitfaden zur Formulierung kompetenzorientierter Lernziele auf Modulebene. Abrufbar unter: http://www.blog.fbzhl.de/wp-content/uploads/2014/11/Leitfaeden_
FBZHL_1_2013_Lernziele.pdf. [20.03.2015].

Dörner, D. (1987). Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart: Kohlhammer.

Euler, D. (2011). Kompetenzorientiert prüfen – eine hilfreiche Vision? In: E. Severing & R. Weiß, (Hrsg.): Prüfungen und Zertifizierungen in der beruflichen Bildung (S. 55-66). Bielefeld: Bertelsmann Verlag.

Euler, D. & Hahn, A. (2014). Wirtschaftsdidaktik (3. Aufl.). Bern: Haupt.

Kultusministerkonferenz [KMK] (2005). Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse. Abrufbar unter http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2005/2005_04_21-Qualifikationsrahmen-HS-Abschluesse.pdf. [18.04.2015].

Reemtsma-Theis, M. (2014). Kompetenzorientiert prüfen. PowerPoint-Präsentation vom 15.12.2014 am Fortbildungszentrum Hochschullehre (FBZHL). Fürth.

Reinmann, G. (2014). Kompetenzorientierung und Prüfungspraxis an Universitäten: Ziele heute und früher, Problemanalyse und ein unzeitgemäßer Vorschlag. Gefunden: http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2014/10/Artikel_Berlin_Okt_14.pdf.

Roth, H. (1971). Pädagogische Anthropologie. Band 2: Entwicklung und Erziehung. Hannover: Schroedel.

Sesink, W. (2011). Kompetenz in Technik. In A. Kaminski, M. Mühlhäuser & J. Steimle (Hg.). Interdisciplinary  Approaches to Technology Enhanced Learning. Interdisziplinäre Zugänge zu technologiegestütztem Lernen (S. 439-466). Münster: Waxmann. Abrufbar unter: http://www.sesink.de/wordpress/wp-content/uploads/2014/09/Kompetenz-in-Technik_Sesink_2011.pdf [28.04.2015].

Universität Marburg, Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft und Institut für Vergleichende Kulturforschung (o.J.). Merkblatt zum wissenschaftlichen Arbeiten. Protokoll. Abrufbar unter: https://www.uni-marburg.de/de/fb03/ivk/studium/merkblaetter-und-formalia/protokoll.pdf [18.12.2024].

Walzik, S. (2012). Kompetenzorientiert prüfen. Opladen: Budrich.

Weinert, F. E. (2001). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen (S. 17-31). Weinheim: Beltz.

Wilbers, K. (2023). Wirtschaftsunterricht gestalten. Lehrbuch Teil I (6. Aufl.). Berlin: epubli. Abrufbar unter: https://www.pedocs.de/volltexte/2023/27824/pdf/Wilbers_2023_Wirtschaftsunterricht_gestalten.pdf [18.12.2024]

Zimmermann, T. (2011). Durchführen von lernzielorientierten Leistungsnachweisen. In H. Bachmann (Hrsg.), Kompetenzorientierte Hochschullehre (S. 44-79). Bern: hep