Philipp Riederle: Wer wir sind und was wir wollen. Ein digital Native erklärt seine Generation.

Autor: Dr. Dirk Jahn, FBZHL
Originalliteratur: Riederle, Philipp: Wer wir sind und was wir wollen. Ein digital Native erklärt seine Generation. München (Knaur TB Verlag ) 2013, ISBN 978-3426786116, 272 Seiten, EUR 12,99.
Quelle: Wilbers, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. www.personalwirtschaft.de/elearning
Was ist nur los mit den jungen Leuten von heute? Viel wird über die Generation y (junge Erwachsene, die zwischen 1977 und 1998 geboren wurden) geforscht, geschrieben und diskutiert. Differenzierte und ausgewogene Beiträge stoßen in diesem Diskurs immer wieder auf einseitige und populistische Polemik. Um nur einen kleinen Auszug zu geben: Es heißt, die jungen Menschen wären angepasst, unpolitisch, opportunistisch, ohne Biss, lebten ihr Leben lieber virtuell als real und es mangele ihnen am kritischen Denken im Umgang mit ihren Medien. Gleichzeitig aber würden sie als stille Revolutionäre fast unbemerkt durch ihre Werte und Wünsche die Arbeitswelt und Politik humaner werden lassen, durch ihre Konsumentscheidungen die Natur stärker schützen oder Nachhaltigkeit und Fairness großschreiben.
Im Jahr 2013 hat sich der „Insider“ Philipp Riederle (geboren 1994) als selbsternanntes Sprachrohr zu Wort gemeldet, um seine Generation den Außenstehenden und dabei insbesondere den Entscheidungsträgern in Unternehmen, Politik und Bildung zu erklären und aufzuzeigen, wie sie sich auf die born digitales einstellen sollten. Der junge, umjubelte Unternehmensberater, Redner und Podcaster ist neben seiner Internetpräsenz auch durch Funk und Fernsehen bekannt.
In seinem Buch holt er zu einem Rundumschlag der Generation y aus. Er charakterisiert die Digital Immigrants als Personen, die sich durch Medien und Gesellschaft zu einem Lebensstil des Profit- und Reputationsstrebens hätten verleiten lassen. Es handele sich um Menschen, die nicht recht wüssten, was es heißt, gut zu leben und nicht verstünden, welches Potential in den digitalen Medien schlummere. Die Generation y hingegen aber wisse um die Möglichkeiten der Medien und verstehe es, sie effektiv, kreativ und intuitiv zu nutzen. An vielen Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen des Berufs- und Privatalltags zeigt Riederle, welche Mehrwerte durch smarte Technologien und digitale Werkzeuge erzielt werden können, beispielsweise durch Crowdfunding, beim online-gestützten Car-Sharing usw. Dabei beschreibt er von seiner Lebensperspektive ausgehend auch die Einstellung, Werte und Praktiken seiner Generation. Es geht um das Vernetzen, Austauschen, „Liken“, Informieren, Selbstverwirklichen und -inszenieren. Riederle zeichnet die Möglichkeiten des Internets schillernd. Jeder könne z. B. damit selbstgesteuert lernen und „etwas“ aus sich machen – unabhängig von seiner sozialen Herkunft. Durch die Transparenz des Internets könne jeder sein Können am digitalen Markt präsentieren und würde dafür unmittelbar auch belohnt werden, wenn der Beitrag nur genug „Substanz“ habe. In diesem Zuge rechnet er auch mit der Arbeitskultur in den Unternehmen und mit dem Bildungssystem ab. Beide seien starr, ineffektiv, rückschrittlich und ließen Kreativität und Selbstentfaltung nur wenig Raum. Um den Potentialen der Generation y gerecht zu werden, müssten sie sich öffnen, flexibel werden, viel mehr Freiräume bieten und verstärkt digitale Technologien so einsetzen, wie sie das von den born digitales vorgelebt bekommen: integriert in den Lebensalltag. Der Autor gibt dazu etliche Ratschläge.
Was Philipp Riederles Buch auszeichnet sind nicht seine Argumentationslinien, die häufig oberflächlich, unausgewogen, sprunghaft und mit einigen Wiederholungen entwickelt werden. Es fehlt dem Buch an differenzierter Dialektik. Zu selten greift der junge Autor auf relevante Studien zurück, streut nur da Belege ein, wo dies seiner Argumentation dienlich ist. Dadurch entsteht auch ein Verallgemeinerungsproblem: Der Autor schließt an vielen Stellen von einer privilegierten Lebensperspektive aus auf alle anderen Mitglieder seiner Generation und verkennt dabei, dass nicht alle unter ähnlichen Rahmenbedingungen leben und teilweise ganz andere Voraussetzungen mitbringen. Nicht jeder ist in der Lage, das Netz für sich so gewinnbringend zu nutzen. An einigen Stellen wird der Digital Native Riederle dann auch zum Digital Naive: Er verklärt das Internet zum Raum der unbegrenzten Möglichkeiten und übersieht dabei manchmal die schwerwiegenden Risiken der digitalen Medien, wie etwa im Bereich Datensicherheit. Auch seine Vision der digitalen, flexiblen, kreativen und freien Arbeitswelt dürfte für einige Arbeiter wie blanker Hohn klingen, etwa für Leute, die täglich unsere Pakete zustellen, die Büros und Straßen reinigen, Landwirtschaft betreiben oder im Supermarkt Regale füllen. Dennoch hat das unterhaltsame und teilweise auch altklug geschriebene Buch Charme und einen Erkenntniswert, weil in ihm eine Stimme aus einer bestimmten sozialen Schicht der Generation y ungefiltert zum Ausdruck kommt und dabei ein Lebensgefühl, eine Lebensstimmung äußert, mit all den dazugehörigen Ängsten, Hoffnungen, Sehnsüchten und auch Hochmut. Auf diese Stimme müssen wir antworten, um mit den Jungen in Kontakt zu bleiben und von ihnen zu lernen.