Die Kombination von Vorlesungen und Gruppenlernphasen („Interteaching“)
Kurzinfos_ZiLL_36-2015_Interteaching
Autoren: Thomas Wade Brown, Kenneth Killingsworth & Mark P. Alavosius, University of Nevada, Reno
Quelle
Brown, T. W., Killingsworth, K., & Alavosius, M. P. (2014). Interteaching: An Evidence-Based Approach to Instruction. International Journal of Teaching and Learning in Higher Education, 26(1), 132-139.
Weitere Informationen
Saville, B. K., Zinn, T. E., & Elliot, M. P. (2005). Interteaching vs. traditional methods of instruction: a preliminary analysis. Teaching of Psychology, 30, 133-136.
Scoboria, A., & Pascual-Leone, A. (2009). An “interteaching” informed approach to instructing large undergraduate classes. Journal of the Scholarship of Teaching and Learning, 9(3), 29-37.
Saville, B. K., Zinn, T. E., Neef, N. A., Van Norman, R., & Ferreri, S. J. (2006). A comparison of interteaching and lecture in the college classroom. Journal of Applied Behavior Analysis, 39(1), 49-61.
Problembeschreibung / Zieldefinition
Im Rahmen des shift from teaching to learning, in dessen Sinn eine Förderung der aktiven Beteilung der Studierenden in Lehrveranstaltungen angestrebt wird, werden traditionelle Methoden der Hochschullehre kritisch diskutiert. Außerdem werden innovative Methoden entwickelt, die sie ergänzen oder ersetzen könnten. Auch die Methode der Vorlesung, die nach wie vor an den meisten Universitäten vorherrschend ist, wird in diesem Kontext kritisch betrachtet.
Brown, Killingsworth und Alavosius (2014) präsentieren das sogenannte „Interteaching“ als eine Möglichkeit, um Vorlesungen mit innovativen didaktischen Methoden anzureichern und um zu erreichen, dass sich die Studierenden intensiver mit den Inhalten der Vorlesung auseinandersetzen. Interteaching ist eine Kombination von Vorlesungen mit Phasen selbstständigen Lernens und Gruppenlernphasen, bei denen die Studierenden sich gegenseitig im Lernprozess unterstützen. Gleichzeitig werden die Inhalte der Vorlesungseinheiten auf die in den Gruppenlernphasen auftauchenden Fragen und Anliegen der Studierenden abgestimmt. Der Begriff des „Interteaching“ geht darauf zurück, dass Studierende in den Gruppenphasen ihre Lehr-Lernprozesse organisieren.
Herangehensweise / Lösungsansatz
Vom Interteaching wird erwartet, dass es die Studierenden dazu anregt, sich aktiver mit dem Lernstoff auseinanderzusetzen, da sie sich selbstständig für die Gruppenarbeit vorbereiten. Gleichzeitig können sie ihren Lernprozess stetig durch den direkten Austausch mit der Lehrperson überprüfen. Dadurch, dass zugleich die Inhalte in der ergänzenden Vorlesung an die in den Gruppenphasen aufkommenden Fragen und Probleme der Studierenden angepasst werden, ist von einer höheren Motivation zur aktiven Teilnahme an der Vorlesung auszugehen. Die Lehrenden schließlich erhalten durch den direkten Austausch mit den Studierenden eine stetige Rückmeldung über deren Kenntnisstand, welche sie in traditionellen Vorlesungen nur über aufwändige Leistungsmessungen bekommen würden. Außerdem erhalten sie wertvolles Feedback zur Qualität der Sitzungen durch regelmäßig eingesetzte Fragebögen, die ebenfalls Teil der Methode sind. Diese werden weiter unten im Detail vorgestellt.
Ablauf einer inhaltlichen Einheit: Die Methode des Interteaching läuft folgendermaßen ab: Jede inhaltliche Einheit ist in drei Phasen gegliedert (vgl. Abbildung 1): (1) Vorbereitende Einzelarbeit der Studierenden (2) eine darauf aufbauende Gruppenarbeit (die eigentliche Interteaching-Phase) und (3) die ergänzende Vorlesung. Die Vorlesung greift die Ergebnisse der Gruppenarbeit auf und wird nur unterstützend eingesetzt. Ihre Inhalte werden dabei jeweils darauf abgestimmt, welche inhaltlichen Probleme und Fragen die Studierenden in der Eigen- und Gruppenarbeit identifizierten.
Ablauf während des Semesters: Die Inhalte der ergänzenden Vorlesung bauen auf den Ergebnissen der vorangegangenen Gruppenarbeit und den sich dort ergebenden offenen Fragen auf. Deshalb besteht eine Veranstaltungssitzung jeweils aus zwei Teilen: Am Anfang einer Sitzung erfolgt zunächst die ergänzende Vorlesung zu dem Thema, das in der Gruppenarbeit der vorhergehenden Sitzung behandelt wurde (in Woche 3 z.B. Thema A). Anschließend bearbeiten die Studierenden in der Gruppenarbeitsphase das nächste Thema, das sie zu Hause in Einzelarbeit vorbereitet haben (in Woche 2 z.B. Thema B). Im Anschluss an die Sitzung bereiten die Studierenden in Einzelarbeit das nächste Thema vor (zwischen den Sitzungen in Woche 3 und Woche 4 z.B. Thema C).
Abbildung 1: Ablauf der Methode Interteaching (hellblau = Präsenz)
Aufgaben der Lehrperson: Ein erster Schritt, noch vor dem Semesterbeginn, ist die Erstellung eines Vorbereitungs-Leitfadens für die Einzel- und Gruppenarbeit der Studierenden durch die Lehrperson. Dieser Leitfaden enthält zum einen Angaben zu wissenschaftlicher Literatur, welche die Studierenden in Einzelarbeit zur Vorbereitung auf die Sitzung lesen sollen, und zum anderen Fragen zu diesen Textstellen, welche in der Einzelarbeit vorbereitet und in der Gruppenarbeit diskutiert werden.
Die Aufgabe der Lehrperson vor der Gruppenarbeitsphase besteht darin darauf zu achten, dass die Gruppen von zwei bis drei Studierenden in jeder Sitzung in neuer Zusammensetzung gebildet werden. Während der Gruppenarbeitsphase geht die Lehrperson von Gruppe zu Gruppe und unterstützt die Studierenden bei inhaltlichen Fragen in ihrem Lernprozess. Um die Zeit in der Gruppenarbeitsphase für die Diskussion in der Gruppe zu nutzen, sollen die Studierenden während der Gruppenarbeit keine Sekundärliteratur lesen. Zusätzlich notieren sich die Lehrenden Fragen und Probleme, die in den Gruppen häufig auftreten. Diese bilden dann gemeinsam mit einem kurzen schriftlichen Fragebogen (siehe unten), der von den Studierenden ausgefüllt wird, die Basis für die letzte Phase der Interteaching-Einheit: Die ergänzende Vorlesung.
Hatten die Studierenden nur geringe Schwierigkeiten beim Beantworten der Fragen, sollte die Lehrperson den Studierenden vor allem einen Ausblick auf weitere Anwendungsgebiete des Gelernten geben, also ihre Perspektive erweitern. Stellten sich das Material und die Fragen jedoch als besonders schwierig heraus, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit der Grundlagenliteratur und den dort vorgestellten Konzepten angebracht. Generell ist bei der vorgestellten Methode jedoch wichtig, dass die Gruppenarbeit den größeren Zeitanteil ausmacht als die ergänzende Vorlesung.
Aufgaben der Studierenden: Die Studierenden bereiten sich in Einzelarbeit anhand des Vorbereitungs-Leitfadens auf die jeweilige Sitzung vor, sie lesen den jeweiligen Text und bereiten die Fragen im Vorbereitungs-Leitfaden vor. In der Gruppenarbeitsphase bearbeiten und diskutieren die Studierenden gemeinsam die Fragen im Leitfaden, welche von geschlossenen Definitionsfragen zu relativ offenen Fragen reichen können, wie Tabelle 1 zeigt. Die Studierenden sollen in der Gruppenarbeit Bezug auf ihre vorausgegangene Lektüre nehmen, um diese Fragen zu beantworten.
Tabelle 1: Beispielfragen aus dem Vorbereitungs-Leitfaden
1. Psychologie wird definiert als…? […]
4. Erklären Sie den Unterschied zwischen klinischer Psychologie und Psychiatrie.
6. Beschreiben Sie, was eine Hypothese ist. […]
9. Ein wiederkehrender Befund ist, dass ein niedriges Selbstwertgefühl mit einem hohen Grad der Depression einhergeht. Heißt dies, dass ein niederiges Selbstwertgefühl Depressionen verursacht? Geben Sie eine Erklärung!
Am Ende der Sitzung füllen die Studierenden einen kurzen Fragebogen aus:
- Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit der heutigen Sitzung?
- Welche Fragen ließen sich in der Gruppenarbeit nur schwierig beantworten?
- Wie zufrieden sind Sie mit der Unterstützung durch die Gruppenmitglieder?
- Wie zufrieden sind Sie mit dem Vorlesungsteil durch die Lehrperson?
Die Ergebnisse dieses Fragebogens bilden zusammen mit den Beobachtungen der Lehrenden aus der Gruppenarbeit die Grundlage für die ergänzende Vorlesung.
Aufwand
Den größten Aufwand für die Lehrenden stellt die Erstellung des Vorbereitungs-Leitfadens dar. Die Lehrenden müssen hierfür nicht nur passende Texte zu jedem Thema heraussuchen, sondern auch Fragen generieren, welche die Studierenden zu einer Diskussion über das Thema anregen. Außerdem müssen die ergänzenden Vorlesungen flexibel an das Verständnis und die Fragen der Studierenden angepasst werden, was eine hohe Flexibilität von den Lehrenden fordert. Allerdings betonen die Autoren, dass die Lehrenden mit zunehmender Erfahrung in der Methode potentielle Fragen und Unklarheiten der Studierenden besser vorhersagen und ihre Vorlesungen schon im Voraus auf diese ausrichten können.
Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate
Interteaching kann einfach und in vielen Bereichen angewandt werden und die positive Wirkung auf die Lernleistung der Studierenden konnte empirisch belegt werden. So zeigten Saville et al. (2005), dass Studierende eines Interteaching-Kurses in einem nachfolgenden Test über den Inhalt des Kurses besser abschnitten als Studierende, welche den gleichen Inhalt im Rahmen einer Vorlesung gehört hatten, und Studierende, welche nur einen Text über den Inhalt gelesen hatten. Die gleichen Autoren führten eine Studie durch, bei der die Studierenden abwechselnd in einer Woche einen Interteaching-Kurs und in der darauffolgenden Woche eine Vorlesung besuchten und jeweils danach einen kurzen Test ablegten. Die Ergebnisse zeigten, dass die Studierenden nach den Interteaching-Kursen im Durchschnitt bessere Testleistungen erbrachten.
Die meisten Studien beziehen sich auf Interteaching-Kurse mit einer relativ geringen Studierendenzahl von etwa 30 Personen. Eine neuere Studie von Scoboria und Pascual-Leone (2009) zeigte jedoch ebenfalls ein besseres Abschneiden von Interteaching-Studierenden bei größeren Gruppengrößen.
Empfehlungen
Besonders wichtig für das Gelingen der Methode ist, dass die Studierenden die im Vorbereitungs-Leitfaden angeschriebenen Texte zu Hause in Vorbereitung auf die Interteaching-Gruppenarbeitssitzung lesen und sich bereits über die gestellten Fragen Gedanken machen. Denn die Gruppenarbeitsphase soll effektiv für die Diskussion innerhalb der Gruppe genutzt werden und nicht zum Lesen der Texte. Falls sich bei der Gruppenarbeitsphase zeigt, dass sich die Studierenden nicht ausreichend vorbereiten, könnten beispielsweise Notizen zu den Fragen im Vorbereitungs-Leitfaden verpflichtend vor den jeweiligen Sitzungen eingefordert werden.
Verallgemeinerbarkeit
Auch wenn das vorliegende Beispiel in der Psychologie erprobt wurde, betonen die Autoren, dass die Methode nicht auf einen bestimmten Studiengang zugeschnitten ist, sondern in einer Vielzahl von Studiengängen angewandt werden kann.