John Hattie : Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen.
Rezensent: Dirk Jahn.
Originalliteratur: Hattie, John: Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning for Teachers“ besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Hohengehren (Schneider Verlag) 2014, ISBN 978-3834013002, 350 Seiten, EUR 28,00.
Quelle: Wilbers, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning, 52. Erg.-Lfg. 2014 www.personalwirtschaft.de/elearning
Seitdem die Mammut-Studie „Visible Learning“ des australischen Bildungsforschers John Hattie in der deutschen Übersetzung erschienen ist, wird viel über die Ergebnisse und deren Übertragbarkeit berichtet und diskutiert. Das liegt einerseits an der empirischen Gewichtigkeit der Studie und andererseits auch an ihrer Brisanz.
Hatties Studie legt beispielsweise dar, dass vielen der angestellten Anstrengungen zur Verbesserung der Lehr-/Lernbedingungen keine große Bedeutung im Hinblick auf die Förderung der Lernleistungen beigemessen werden können. Kleinere Klassen, bessere Ausstattung oder problemorientiertes Lernen tragen beispielsweise nur sehr wenig zum Lernerfolg bei im Vergleich zu den maßgebenden Einflussfaktoren. Dazu zählt unter anderem das pädagogische Wirken jeder einzelnen Lehrkraft – das wird jedoch allzu oft in Debatten und Reformen übersehen.
John Hattie möchte dies mit seinem neuen Werk ändern. Er hat nicht nur kräftig weitere Metastudien ausgewertet und bei seinen Ergebnissen nachgebessert, sondern den Versuch unternommen, Wege aufzuzeigen, um die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit in die pädagogische Praxis zu überführen.
Mit „Visible Learning for Teachers“ legt Hattie Lehrpersonen und Bildungsverantwortlichen eine Handreichung vor, mit dessen Hilfe sich die Theorie des „Lernen-Sichtbarmachens“ sowohl im Unterricht als auch in der Entwicklung von Bildungssystemen praktisch umsetzen lassen soll. Die beiden Bildungsexperten Wolfgang Beywl und Klaus Zierer haben das Buch –wie bereits beim Vorgänger – ins Deutsche übersetzt und überarbeitet.
Kenne deinen Einfluss! ist der zentrale Imperativ im Visible Learning. Lernen gelingt dann, wenn Lehrende ihren Unterricht aus der Warte der Lernenden sehen und ausrichten lernen. Dafür müssen sie nicht nur wissen, wo ihre Lernenden gerade stehen und was diese jeweils als nächsten Schritt benötigen, sondern Lehrende müssen auch kontinuierlich in Erfahrung bringen, wie ihr Unterricht jeweils wirkt.
Anhand der Darstellung relevanter Forschungsergebnisse, kurzen Theorieinputs, Checklisten oder Good-Practice-Beispielen verdeutlicht Hattie, wie Unterricht geplant, durchgeführt und evaluiert werden sollte, um hohe kognitive Lernerfolge zu erzielen. Er macht beispielsweise deutlich, wie das Setzen und Kommunizieren von Lernzielen, das Geben von Feedback, das Anleiten von Diskussionen oder aber auch die Förderung von Lernstrategien evidenzbasiert geschehen kann.
Evidenzbasiert ist dabei einer der wichtigsten Begriffe in Hatties Ansatz. Das Handeln von Lehrenden sollte stets von empirischen Belegen ausgehend gezielt abgeleitet werden. Des Weiteren stellt Hattie heraus, welche Einstellung Lehrende, Schulleitende und auch Systeme benötigen, um den Anforderungen des Visible Learnings gerecht zu werden. Am Ende jedes Kapitels werden Übungen und Arbeitsaufträge angeboten, die unter anderem darauf abzielen, das Wissen anzuwenden, die eigene Praxis zu reflektieren oder dort einen Konzeptwandel anzustoßen. Im Anhang befinden sich ergänzende Materialien wie Checklisten, Evaluationsbögen oder eine Liste der Einflussfaktoren. E-Learning spielt in dem Buch keine explizite Rolle, jedoch können viele der Empfehlungen auf die Gestaltung von E-Learning-Szenarien übertragen werden, z. B. für die Gestaltung von Feedback bei der Bearbeitung von Aufgaben.
Das Buch ist gut lesbar und verständlich geschrieben. Die vielen Praxisbeispiele, Gestaltungsempfehlungen und Übungen bieten hilfreiche Impulse, um Lernen in der eigenen Praxis „sichtbarer“ zu machen. Lehrenden, die ihren Unterricht reflektieren und verbessern möchten, ist das Buch sehr zu empfehlen.
Kritisch sollten wir uns aber fragen, wie weit wir John Hatties Vision des Lehrens und Lernens folgen wollen. Mit den Werkzeugen der Empirie möchte er vor allem kognitive Lernleistungen verbessern. Manchmal aber schießt er damit über das Ziel hinaus. Einige seiner Vorschläge zur Umsetzung des Visible Learning weisen technokratische Tendenzen auf.
Beispielsweise sollte bei jedem Lernenden regelmäßig der Lernstand erhoben und mit den für ihn festgelegten, individuellen Zielgrößen seiner Soll-Lernkurve abgeglichen werden. Dadurch soll einerseits Aufschluss über die Entwicklung seines Lernens und andererseits über die Qualität des Unterrichts gewonnen werden. Das Einhalten von einseitigen Zielgrößen wird damit aber indirekt zur Maxime erhoben. Neben der Notengebung hätten wir dann ein weiteres System, das Menschen einen Wert zuordnet und sie damit auch unter Druck setzt.